Donnerstag, 3. Juli 2008

Neun Euro für eine Information

"Freunde im Ausland?" Mein Mobilfunkanbieter hat mich durchschaut. Nach nur ein paar SMS über die Grenze hinaus hat er gleich per Kurzbotschaft nachgefragt, ob ich nicht an einem Angebot für billigere Telefonate in die Türkei interessiert wäre.
Ja, ich habe dort Freunde. Und würde ich mich damit begnügen, mit ihnen zu telefonieren, wäre alles kein Problem. Doch ich möchte sie nach Österreich einladen und mit ihnen ein paar Tage in Wien verbringen. Da hört sich der Spaß auf.
Zwar wollen die beiden keineswegs in Österreich bleiben und hier schwarz auf dem Bau arbeiten. A. ist Bankanalystin, O. EDV-Spezialist; an Hilfsarbeiterjobs im Ausland sind sie nicht interessiert. Doch das alles müssen sie den Österreichern nachweisen. Um ein Visum zu bekommen, das 60 bis 75 Euro kostet, brauchen sie neben gültigem Reisepass, Geburtsurkunde und einem Auszug aus dem Familienregister unter anderem:
* Nachweis der Unterkunft,
* Nachweis des Transportmittels,
* Arbeits- und Urlaubsbestätigung des Arbeitgebers,
* Lohnbestätigung und aktuellen Kontoauszug,
* Einladungsschreiben.
Nähere Informationen und eine Terminvergabe etwa bei der österreichischen Botschaft in Ankara sind dabei keinesfalls gratis. Da wird am Telefon nach der Begrüßung zunächst die Kreditkartennummer oder ein Pin-Code von der Bank verlangt. Neun Euro werden dann gleich einmal dem potenziellen Antragsteller für die Dienstleistungen des Callcenters abgezogen.
Mir als Einladender wird es auch nicht einfach gemacht. Für eine elektronische Verpflichtungserklärung für meine Gäste muss ich der Polizei Pass, Meldezettel und Lohnbestätigung vorlegen. Mit den Unterlagen marschiere ich also aufs Kommissariat. Dort stellt sich aber heraus, dass ich ebenso meinen Mietvertrag vorzeigen muss. Schließlich gehört auch notiert, auf wieviel Quadratmetern ich wohne und was ich dafür bezahle. Also marschiere ich noch einmal aufs Kommissariat, damit das ebenfalls erledigt wird. Eine Garantie, dass meine Freunde ihr Zehn-Tages-Visum bekommen, gibt es freilich nicht.
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Da es jetzt total in Mode ist, offene Briefe zu verfassen, könnten die beiden den anderen Dokumenten folgendes Schreiben beifügen:
"Sehr geehrte österreichische Bundesregierung!
Uns türkischen Staatsbürgern ist bewusst, dass Sie auf die Befürchtungen der Bevölkerung in Ihrem Land Rücksicht nehmen. Doch wir möchten nicht nach Österreich reisen, um den Menschen dort die Arbeitsplätze wegzunehmen oder die islamische Kultur zu verbreiten. Wir möchten dort nicht einmal länger als zehn Tage bleiben, sondern einfach nur Urlaub machen und etwas von unserem in der Türkei verdientem Geld dortlassen.
Warum aber behandeln die EU-Staaten – denn die Anforderungen für Visa in andere Länder sind ähnlich – Ausländer aus Nicht-EU-Staaten als potenzielle Schwarzarbeiter oder Kriminelle? Warum wird die von der EU theoretisch so hochgeschätzte Mobilität uns so schwer gemacht? Warum schottet sich Europa derart ab? Warum habt Ihr so viel Angst vor uns?
Herzlichst – A. und O."

Wiener Zeitung, 2. Juli 2008