Freitag, 13. Juni 2008

Thema Nummer Eins

Selbstverständlich schaue ich mir jedes EM-Match an. So auch Österreich-Polen. Doch in dem Wiener polnischen Lokal sind nur meine Schwester und ich für Polen. Alle anderen zittern für Österreich. Dafür bekomme ich eine polnische Fahne umgehängt. Doch gegen Mitte der ersten Halbzeit kann ich nicht anders: Ich richte meine Sympathie auf die Österreicher. Sie tun mir einfach leid. Meine Schwester wiederum kann den Schwenk nicht fassen, beschimpft mich auf Deutsch und Polnisch. Hätte ich die polnische Staatsbürgerschaft noch, würde sie sie mir aberkennen. Meine Fahne aber darf ich behalten.
Nach dem Match ist das Lokal plötzlich voll. Zwei polnische Fans wanken herein, sie haben versucht, sich das Unentschieden schönzutrinken. Einer verschwindet wieder, der andere baggert mich an. Als der Verschwundene wieder auftaucht, ist der Baggerer weg. Dafür weiß der erste nun nicht, wo er schlafen soll. Ich nicke mitfühlend. Ganz schön tragisch.
Dann versuchen zwei Österreich-Fans ins Gespräch zu kommen. Doch sie sind entsetzt, als sie erkennen müssen, dass die Polin eine Polin ist. Und dann verkünden sie ihre Erkenntnis des Tages: „Es gibt wichtigeres als Sex“, finden sie. „Fußball.“ Stimmt. Doch Männer, die sich für Sex nicht interessieren, interessieren uns nicht. Als die Burschen das vernehmen, ziehen sie ab.

Dienstag, 3. Juni 2008

Reisen mit dem Autobus

Die Reise von Istanbul nach Van dauert siebzehn Stunden. Manchmal auch etwas länger, wenn mehr Leute unterwegs aussteigen. Denn dazu ist keine Haltestelle nötig. Es reicht, dem Busfahrer zu sagen, er solle dich bitte an der Straßenecke irgendeines Städtchens rauslassen. Ich bin neben einer kleinen rundlichen Frau mit Kopftuch platziert worden. Freie Platzwahl gibt es im Autobus nämlich nicht. Wie für das Flugzeug werden Tickets mit Sitzplatznummern verkauft. Und wie im Flugzeug gibt es Stewards, die Tee und kalte Getränke servieren. Meine Nachbarin fängt gleich ein Gespräch mit mir an. Dass ich so gut wie gar nichts verstehe, kümmert sie nicht. Sie nestelt das Foto ihres Sohnes aus dem Geldbörsel, sagt, dass er in Ankara arbeitet und noch unverheiratet ist. Dann meint sie, es wäre auch für sie bequemer gewesen, eine Hose anzuziehen. Dabei zupft sie an meiner Jeans, um sicher zu gehen, dass ich sie verstehe. Sie ist fünfzig, hat Textilien gefertigt, Borten und Jacken gehäkelt. Dadurch sind ihre Augen schlechter geworden, jetzt ist sie pensioniert. All das erklärt sie mit viel Körpereinsatz und indem sie sich an mich lehnt. An den Raststätten biete ich ihr Zigaretten an.
Um zwei, drei in der Nacht wird es ruhig im Autobus. Die Menschen machen es sich bequem, so gut es geht, schlummern. Ein kleines Kind quengelt leise, wird aber gleich beruhigt. Eine Frau reist mit ihren zwei Söhnen. Sie sind nicht älter als acht Jahre. Geduldig schauen sie aus dem Fenster, schlafen dann aneinander geschmiegt, klagen nicht über Langeweile. Um vier Uhr beginnen drei Männer hinter mir eine Diskussion über Politik. Ich höre den Namen des Oppositionsführers.
Kurz nach fünf wird es hell. Wir kommen ans Schwarze Meer, fahren die Küste entlang. Die Straße verläuft oft nicht einmal hundert Meter vom Meer entfernt. Statt Strände zu schaffen wurden hier Straßen gebaut.
Vor der Raststätte in Terme steht die Statue einer einbrüstigen Frau, die einen Pfeil in ihren Bogen spannt. Die Amazonen sollen einer Legende nach hier gelebt haben.
Um zehn vormittags, in Trabzon, sind nur noch die wenigsten Fahrgäste übrig. Die meisten sind unterwegs ausgestiegen.

Die Reise von Trabzon nach Van dauert elf Stunden. Als der Bus wegfährt, ist es schon dunkel. Es sind viele Plätze frei, ich sitze in der Mitte des Busses, gleich beim hinteren Ausgang, wo der zweite Busfahrer oder Steward eine Schlafkoje hat. Vor Mitternacht sitzt einer von ihnen auf den Stufen vor der Koje und raucht eine Zigarette. Ob ich auch eine wolle, fragt er mich in Zeichensprache. Klar. Wir sitzen dann gemeinsam auf den Stufen und rauchen. Dann bedeutet er mir, ich soll doch in die Koje kommen. Nein. Na dann solle ich ihn doch wenigstens küssen. Neeeeeeeiiin. Nur einmal. Aber sicher nicht. Während ich flüchte, frage ich ihn, ob er spinnt. Der Mann ist an die Fünfzig und hat Zahnlücken.

Von Igdir nach Kars sind es gute hundert Kilometer. Doch die Reise dauert dreieinhalb Stunden. Der Weg führt über Berge, die vor tausenden von Jahren durch Lava geformt worden waren. Das Gestein wird auch zum Häuserbau verwendet. Wie in die Erde gebaut und so schwarz wie sie sehen die ärmlichen Dörfer mit ihren flachen Dächern am Wegesrand aus. Dazwischen grüne Felder, im Hintergrund Berge und die hügelige Weite des Landes.
Die Reise wird durch Kontrollen unterbrochen. Soldaten haben Stützpunkte aufgebaut. Der Weg verläuft entlang der Grenze zum Iran und zu Armenien, die Autos werden nach geschmuggelten Zigaretten oder alkoholischen Getränken abgesucht.
Und noch etwas, meint E.: Es ist von Kurden bewohntes Gebiet, die Menschen hier werden schlicht schikaniert. Ihnen soll das Reisen vergällt werden. Unter dem Vorwand, die PKK bekämpfen zu wollen, die in den Bergen ihre Rückzugsgebiete hat, mache die Regierung allen Menschen das Leben schwer.
Jedenfalls werden alle Fahrzeuge aufgehalten, wie an einer Grenze. Manchmal müssen die Reisenden ihr Gepäck aus dem Kofferraum des Autobusses rausholen. Dann öffnen die Soldaten jede einzelne Tasche und tasten sie ab. Es sind junge Burschen, viele gerade einmal zwanzig Jahre alt, die ihren Militärdienst hier ableisten müssen. Einer von ihnen, auf die Kontrollen angesprochen, sagt, er tue es auch nicht gern. Aber es solle halt so sein.