Montag, 7. Januar 2008

Heimatlose Bettnässer

H. sagt, wenn zwei Frauen gemeinsam weggehen, dann um Typen aufzureißen. Stimmt nicht. Sie wollen sich unterhalten. Dass ihnen dann Typen über den Weg laufen, nehmen sie in Kauf. Manchmal nehmen sie sie auch mit.
Die Menschen, die von Lokal zu Lokal ziehen und nicht heimfinden, nennt H. heimatlose Bettnässer. Das stimmt. Aber manche mögen’s so. Ich gehöre sogar dazu. Nicht jeder hat mit 30 Jahren Frau oder Mann, zwei Kinder und einen Hund im gerade auf Kredit gekauften Eigenheim sitzen, zu denen er oder sie nach der Arbeit eilen will. Andererseits wäre das Leben auch nicht ärmer ohne so manche Unterhaltung, die in Lokalen geführt wird.
Da sitzt du zum Beispiel an der Bar im „Europa“ (und du brauchst keine zweite Frau, um Typen aufzureißen), trinkst in Ruhe dein Bier und auf einmal bist du flankiert von zwei Männern. Zu deiner Linken platziert sich der „Ich arbeite bei einer Versicherung, aber es gefällt mir eigentlich nicht so gut dort“-Typ; zu deiner Rechten sitzt ein Student, der dich um Zigaretten anschnorrt (er armer Student, du arbeitende Frau, also kein Problem). Beide sind sympathisch. Der eine schwärmt von deinen grünen Augen – die sind zwar blau, aber schieben wir es auf die spärliche Beleuchtung. Der andere erklärt dir, wie interessant ältere Frauen sind. Du bist zwar 33 und nicht 53, du lächelst dennoch altersmilde.
Und dann wollen beide den Rivalen loswerden. Sie flüstern dir die Frage ins Ohr, was du eigentlich von dem anderen Typen willst.
Es reicht. Du gehst. Nice try, Burschen. Aber diesmal nicht.

„Na, so allein hier?“

„Du hast es gut“, sagen Männer. „Du bist eine Frau.“ Das sagen sie nur, wenn es um Aufrisse geht. Einkommensunterschiede hin, Geschlechterrollen her – als Frau kannst du leichter einen Mann aufreißen als Männer eine Frau aufreißen können. Undenkbar, dass ein Mann macht, was eine Frau machen kann: Augenkontakt aufnehmen, dann zu dem Typen hingehen und in ironischem Ton fragen: „Na, so allein hier?“
Oder ein Getränk spendieren: Es kommt einfach besser, wenn eine Frau den Barkeeper beauftragt, einen Drink über den Tresen wandern zu lassen als wenn es ein Mann macht. Das gleiche gilt, wenn es die Frau ist, die einem Mann nach einer halben Stunde Eingangsgeplänkel in die Augen schaut und fragt: „Zu dir oder zu mir?“
So machen sich Männer viel mehr Gedanken über den perfekten Anmach-Spruch als Frauen. Ein Bekannter hat die Lösung für sich gefunden. „Der beste Spruch“, behauptet er, „ist noch immer der einfachste. Du gehst hin und sagst Hallo.“ Einverstanden, nur muss dann auch etwas Intelligentes nachkommen.

Sport

M. hat jahrelang Karate geübt. K. hat sich als Aerobic-Trainerin Geld fürs Studium verdient. A. geht klettern (ist seit ein paar Jahren total in Mode). B., C., D., E. und F. gehen laufen (das gehört einfach dazu). Ich bin ein Loser. Ich mache keinen Sport. Ich habe sogar Radfahren verlernt – mit ein bisschen Disziplin geht das.
Dennoch bin ich letztens am Berg gelandet. Es war mehr ein Hügel, aber egal. Der Weg zur Hütte sei ein Familienspaziergang, wurde mir versichert. Es gingen ja auch tatsächlich Jungfamilien mit ihren drei- bis fünfjährigen Kindern rauf, ältere Paare und auch Hochschwangere. Alle, wie es sich gehört, in ihren Goretex-Jacken, den luftdurchlässigen aber wasserabweisenden Hosen, den festen Wanderschuhen und maschinengestrickten Mützen. Und mittendrin ich: mit meinem Alpaka-Mäntelchen, den Stiefeln über der Jeans (ich konnte meine Wanderschuhe nicht finden) und dem Hut, der so wunderbar warm ist.
Kein Wort darüber, wie ich die paar Höhenmeter überwunden habe, wie ich gekeucht habe, wie sehr die noble Blässe im Gesicht einer seltsamen roten Farbe gewichen ist.
Ich bin nun mal keine Jungfamilie, kein Kind, kein älteres Paar und keine Hochschwangere. Ich bin nun mal eine Stadtpflanze. Ich brauche die Natur nicht und auch nicht die körperliche Ertüchtigung. Ich brauche mein Kaffeehaus, mein Lokal, mein Bier und meine Zigarette. Und genau das habe ich mir drei Stunden nach dem Hügelberg im „Engländer“ geholt. Gut, Alkohol mag keine Lösung sein. Aber (Achtung: Lebensweisheit): Sport ist es auch nicht.

Hip sein

Kein Mensch, der hip ist, würde heutzutage „hip“ sagen (abgesehen davon, dass es laut neuer Rechtschreibung mit doppel-p geschrieben werden müsste, und dann würde es „hipp“ heißen). „In“ klingt schon besser, ist aber auch schon veraltet. Doch wer, der älter als 25 ist, kann „krass“ oder „fett“ sagen? Wir bleiben also kurz bei „in“. Wie auch immer, vor kurzem klagte K., dass es schade sei, nicht mehr so hip zu sein wie früher. Damals, als die Veranstaltungen, die in FM4 beworben wurden und zu denen man hingegangen ist, wirklich in waren und du mittendrin im In-Sein. Damals, als einem der „Falter“ sagte, was angesagt ist.
Ich war leider niemals in. Deswegen kann ich es nicht beklagen, dass ich es nicht mehr bin. Das hat was Beruhigendes.

Älterwerden

Ich kann es nicht mehr hören. Dieses Gejejere ums Älterwerden. Wenn du die 30 überschritten hast, kommst du nicht drumherum – weil alle Altersgenossen glauben, du musst das doch auch so empfinden. Die Haut wird schlaffer, die sexuelle Attraktivität sinkt. Blablabla. Schlimm genug, dass sich in der Arbeit S. und M. darüber unterhalten, dass Zur-Maniküre-Gehen ab einem bestimmten Alter notwendiger wird. Aber das Thema verfolgt mich bis an die Bar. Da sitze ich letztens mit O. in einem Lokal. Nein, noch ein Bier geht nicht, höre ich. Und dann kommt’s: Ja, früher, da haben wir viel besser saufen können. Was haben wir für Festl g’schmissn! Früher war der Kater auch nicht so schlimm. Früher sind wir überhaupt viel mehr fortgegangen. Aber jetzt steckt das der Körper nicht mehr so leicht weg. Auf den muss man dafür jetzt besser achten. Es ist ja immer schwieriger, die Figur zu halten. Ach ja, ob ich B. gesehen habe? Gerade von einer Wellness-Kur zurückgekommen. Richtig aufgeblüht. Während ich mir das anhöre, bestelle ich noch ein Bier.
Habe ich schon erwähnt, dass S., M., O. und B. Männer sind?
Im übrigen (Achtung: Lebensweisheit von Karl Valentin): Früher war sogar die Zukunft besser.

Tiger und Thermometer

Cafe Prückel, Samstagnachmittag.

Ein alter Mann schlurft herein. Vornübergebeugt setzt er langsam und in kleinen Schritten einen Fuß vor den anderen. Neben einem freien Tisch schält er sich mühsam aus seinem langen grauen Mantel. Er lässt sich nieder und bestellt einen Kaffee. Bedächtig schaut er sich um. Bald kommt sein Bekannter, ein Mann um die Fünfzig, der viel redet und sich eine Kanne Tee kommen lässt.
Der alte Mann zeigt ihm ein Thermometer, das er sich gerade gekauft hat. Der Begleiter nimmt es, zieht es aus der Plastikhülle, wendet es. Dann taucht er es in seine Teekanne. Er will prüfen, ob es das Thermometer zerreißt. Das Thermometer zerreißt es. Der alte Mann schaut betroffen.
Der jüngere Mann ruft die Kellnerin und erklärt ihr die Lage. „Mir ist da was passiert. Ich wollte das Thermometer hochjagen und habe es in den Tee getunkt. Schütten Sie ihn am besten sofort weg. Denn da ist Quecksilber drin, und das ist giftig. Die Kanne schmeißen Sie am besten auch gleich weg. Und mir bringen’s bitte einen neuen Tee.“ Die Kellnerin nimmt die Kanne, geht ohne Wort weg, unbeeindruckt.
Der alte Mann bricht auf. Sein Begleiter hilft ihm in den Mantel. „Sie hatten doch mal so einen schönen Pelzmantel“, sagt er zum alten Mann. „Wo haben’s den?“ Der ist kaputtgegangen.
Der alte Mann schlurft raus. Ohne Pelzmantel, ohne Thermometer.



Cafe Moskva, Helsinki, ein Uhr nachts.

In Finnland ist es manchmal seltsam. Das zeigt Aki Kaurismäki in seinen Filmen ja auch (übrigens ist einer seiner wundervollen Schauspieler, der aus „Der Mann ohne Vergangenheit“, gerade erst 51-jährig gestorben).
Der erste Finne, den ich vor Jahren kennengelernt habe, hat mir erzählt: „Wir Finnen reden nicht viel. Wenn wir zusammenkommen, sitzen wir da, schweigen und trinken. Und dann fangen wir an zu weinen.“
Und dann ist da noch dieses geduldige Warten. Die Leute stehen in der Nacht an der Straße und warten auf ein Taxi. Dabei bilden sie eine geordnete Schlange, das ist das Seltsame daran. Zuvor kann es im Cafe Moskva – wo zwei Frauen und ein Mann am Tisch sitzen, trinken und die anderen Gäste betrachten – zu solchen Gesprächen kommen:
Sie: Die hat Tiger auf ihrem Leiberl.
Er: Ja. Die hat Tiger auf dem Leiberl.
Sie: Sag ich ja.
Er: Eh.
Sie: Aber ich hab’s zuerst gesagt.
Er: Ja eh.
Sie 2 schaltet sich ein: Ich find Tiger super.