Dienstag, 9. Dezember 2008

Blutiges Fest

Die Türglocke in Ayses Wohnung klingelt schon wieder. Die fünfzehnjährige Tochter macht die Tür auf, nimmt von der Nachbarin ein Päckchen entgegen, tauscht mit ihr Glückwünsche aus. Zuvor waren ein paar Cousins zu Besuch, Ayses Schwester ist ebenso vorbeigekommen, die Nichten und Neffen waren ebenfalls da. Es ist Kurban Bayram, das Opferfest zur Erinnerung daran, dass Gott den gläubigen Abraham daran gehindert hat, dessen Sohn Isaak zu opfern. Vier Tage lang wird dies gefeiert, und Millionen von Türken machen sich auf die Reise, um ihre Familien zu besuchen.
Es ist auch ein blutiges Fest. Muslime, die es sich leisten können, müssen ein Tier opfern und das Fleisch an Bedürftige verteilen. „Es sind meist arme Leute aus der Umgebung“, erklärt Mahmut. „Sie holen sich das Fleisch dann ab. Oder du kannst es auch in der Moschee abgeben, die es dann verteilt.“ Mahmut hat Internationale Beziehungen studiert – unter anderem in Polen – und besucht jetzt ein Koranseminar in Istanbul. Nein, lacht er, er wolle kein Imam werden. Aber er möchte Arabisch lernen und dann vielleicht Diplomat werden. Während er das erzählt, haucht er immer wieder in seine Hände, um sie in der aufziehenden Abendkälte aufzuwärmen. Seit zehn am Vormittag sitzt er an einem kleinen Tisch vor der Moschee im Istanbuler Stadtviertel Tepebasi und führt Buch über die geschlachteten Schafe. An die hundert waren es heute. Auch Kühe werden geopfert, aber die hätten in dem kleinen Schlachtraum neben der Moschee keinen Platz.
In dem weiß gekachelten Raum sind ein paar Männer in grünen Plastikumhängen und Gummistiefeln seit Stunden damit beschäftigt, Schafen die Kehle durchzuschneiden, die Tiere zu häuten und grob zu zerlegen. Immer wieder spritzen sie den Boden mit Wasser ab, kehren das Blut in eine Rinne in der Mitte des Raums.
„Freunde, jeweils nur fünf sollen sich anstellen“, schreit jemand. „Es gibt eine Reihenfolge einzuhalten.“ Vor der Tür drängen sich die Menschen und mühen sich, die zuvor auf Märkten gekauften und nun an Stricken gehaltenen Schafe zu beruhigen. Es ist kein Blöken zu hören, obwohl die Tiere das Blut spüren.
Im Innenhof der Moschee wird das Fleisch zerteilt, und die Menschen tragen es in großen schwarzen Plastiksäcken davon. In Scheibtruhen werden Überreste wie Hufe oder Fellstücke zu den bereitgestellten Müllcontainern gekarrt.
Nicht überall werden die staatlich geregelten Vorschriften zur Schlachtung eingehalten. Statt in dafür vorgesehenen Räumen wird auch in Gärten, auf Feldern, in Parks, sogar auf Kinderspielplätzen geschlachtet. Trotz der riesigen Plastikplanen, die ausgebreitet werden, färbt sich die Erde rot. Jedes Jahr mahnen Zeitungen ihre Leser, kleine Kinder bei der Opferung nicht zusehen zu lassen – und bringen dann Bilder von Sechs-, Siebenjährigen, die entsetzt die Augen abwenden. Jahr für Jahr landen tausende Ungeübte im Krankenhaus, weil sie sich bei ihren Schlachtversuchen selbst verletzt haben.
Als der Muezzingesang zum Abendgebet erklingt, ist das Schlachten neben der Moschee in Tepebasi vorbei. Ein Mann spritzt mit einem Wasserschlauch die letzten Blutreste vom Gehsteig.

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