Montag, 26. Mai 2008

'Auch Van aendert sich'

Van, die sagenumwobene Stadt, muss einmal ein magischer Ort gewesen sein. Auf einem Berghügel gebaut, blickte sie auf den gleichnamigen See hinunter. Rundherum erstrecken sich Berge, auf deren Gipfeln teilweise noch Ende Mai Schnee liegt. Doch die Felder darunter sind grün, Schafe finden hier genug Nahrung. In Van drängten sich Kirchen und Moscheen zwischen den niedrigen Häusern in verwinkelten Gassen. Es gibt davon eine Fotografie, die ein deutscher Architekt vor etwa hundert Jahren gemacht hat. Urartäer, Seldschuken, Perser, Osmanen, Kurden und vor allem Armenier prägten das Stadtbild. Doch 1915, als Türken und Russen um die Vorherrschaft kämpften, kam es zu einem Aufstand der Armenier. Kurz darauf wurden sie vertrieben, viele von ihnen ermordet. Die Stadt wurde niedergemacht. Nur noch Ruinen der alten Festung, ein Minarett, eine Grabstätte und ein paar Inschriften auf einem Felsen zeugen von der tausende Jahre währenden älteren Geschichte Vans.
Das neue Van wurde etwa fünf Kilometer weiter östlich neu aufgebaut. Es war auf 150.000 Menschen ausgelegt; mittlerweile ist es auf mehr als 600.000 Einwohner angeschwollen. Kurden, die im Zuge des Kampfes gegen die PKK aus ihren Dörfern vertrieben wurden, sind hier ebenso gestrandet wie iranische Flüchtlinge. Die Grenze zu ihrem Land ist gerade einmal 90 Kilometer weit entfernt.
Einen Job zu finden, ist nicht einfach. Manche Männer gehen in der Früh zu einem Treffpunkt beim Basarviertel, wo sie von Vermittlern für einen Tag angeheuert werden, um etwa auf dem Bau zu arbeiten. Manche schicken ihre Kinder zur Arbeit. So arbeiten auch dreizehnjährige als Laufburschen in Geschäften oder Restaurants. Auf der Straße bieten kleine Buben Taschentücher oder geschmuggelte Zigaretten zum Kauf an, gehen mit einer schmutzigen Waage hausieren, auf der sich potenzielle Kunden wiegen lassen können. Das meiste Leben spielt sich an der Straße der Republik ab, mit ihren Geschäften, Lokalen und Internet-Cafes. Wunderbar sind die „Frühstücks-Salons“, wo es den mit Kräutern verfeinerten Otlu-Käse, cremigen Honig, Eierspeise mit Tomaten und endlos Tee gibt.
Die Straßen sind voller Männer, die Ausländerinnen anstarren. Frauen, viele mit Kopftuch, sind weit seltener zu sehen, nach zehn Uhr abends so gut wie gar nicht. In zahlreichen Lokalen gibt es Abteilungen nur für Männer, mit Glück auch eine Sektion für Familien. Noch immer gehen viele Frauen nicht arbeiten, bleiben zu Hause mit den Kindern.
Doch auch in Van ändert sich einiges, sagt mir M., ein 28-jähriger Kunststudent. Vor fünf Jahren noch wäre das nicht möglich gewesen, erklärt er und deutet zuerst auf sein Flinserl, dann auf sein Ziegenbärtchen. Ein junges Ehepaar, das ich kurze Zeit später in einem Lokal kennenlerne, bestätigt das. „Vor ein paar Jahren hätte ich nicht so einfach am Abend zusammen mit meiner Frau auf ein Bier gehen können“, versichert S.
Dennoch sind M.s fünf Schwestern – er hat auch noch zwei Brüder – alle verheiratet und Hausfrauen. Als eine auf die Universität wollte, hat der Vater es nicht erlaubt. Wozu sei das denn notwendig? M. mag seinen Vater nicht besonders, er teilt dessen Einstellung nicht. Immer dieses Beten, alles als Schicksal hinnehmen, ob Kinderzahl oder Krankheit – damit kann M. wenig anfangen. Was er allerdings nach dem Studium macht, weiß er selbst noch nicht so recht. Am liebsten sei ihm Malen und Trinken, sagt er und lacht. Doch von Van aus als Maler zu reüssieren, sei unmöglich. Die Zukunft werde es weisen. Sich aber nur aufs Schicksal verlassen – das will M. nicht.

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