Montag, 26. Mai 2008

Die Amerikaner sind schuld

Mit zwei Studenten und einem Anwalt aus Istanbul fahre ich in einem Minibus ins Sümela-Kloster, das etwa 40 Kilometer von Trabzon entfernt in einen Felshang gehauen wurde. Die Landschaft am Schwarzen Meer ist eine saftige, die Berge sind mit Wald bewachsen. Oft sind sie in Nebel getaucht, das Klima ist feucht. Es ist eine der wichtigsten Regionen für Haselnuss-Anbau in der Türkei; unweit von Trabzon gibt es sogar ein Haselnuss-Forschungsinstitut. Ö., der Chauffeur, liebt diese Gegend. Er ist hier geboren, hat aber 30 Jahre lang in Istanbul gewohnt und als Lkw-Fahrer gearbeitet. Doch dann hat er seine Wohnung verkauft und ist vor drei Jahren wieder nach Trabzon gezogen. „Hier ist die Luft besser, und die Menschen sind es auch“, sagt Ö. Hier würden Tomaten und Gurken besser gedeihen als anderswo; das Gemüse sei so gesund, dass du keine Medikamente brauchst. Und die Menschen: „Ich habe in Istanbul in 30 Jahren nur drei echte Freundschaften geschlossen. Hier aber kenne ich so viele Leute, und wir sind alle Freunde.“
Doch die Arbeitslosigkeit sei ein Problem. Wie viele Menschen können schon vom Haselnuss-Anbau leben? Auch Fischer hätten es zunehmend schwer, weil es immer weniger Fische gebe. „Hier kannst du nur als Beamter oder Lehrer arbeiten“, meint Ö. In dem Dorf etwa, wo er seine Kindheit verbracht hat, sind fast alle Lehrer.
Ö. macht mittlerweile keine langen Strecken mehr. Trabzon-Macka-Sümela: Fahrten in einem Radius von 50 Kilometern reichen ihm. Er selbst steigt ungern in einen Autobus. „In der Türkei sterben im Schnitt 50 Menschen täglich im Straßenverkehr“, erklärt er. Für lange Strecken nimmt er da lieber das Flugzeug. Der Anwalt ergänzt, dass es vor 30 Jahren noch gute Seeverbindungen gegeben hat im Schwarzen Meer. Doch dann hätten die Regierungen auf Druck der Amerikaner enorm viel Geld in den Straßenbau gesteckt, hätten den Betrieb zahlreicher Fähren eingestellt und den Ausbau des Eisenbahnnetzes völlig vernachlässigt. „Die Amerikaner“, glaubt Ö. „wollen nur, dass wir ihre Autos kaufen und bei ihnen Kredite aufnehmen.“
Die Überzeugung, dass so vieles fremdgesteuert ist, dass ihr Land von anderen Mächten beeinflusst werde, ist bei Türken immer wieder zu finden. Es ist ein guter Boden für Verschwörungstheorien. Und manche entpuppen sich sogar als wahr. Militärs planen Staatscoups – und haben schon manches Mal welche ausgeführt. Es gibt einen Geheimdienst, den es offiziell gar nicht gibt. Polizisten können dich an jeder Straßenecke aufhalten und nach deinem Ausweis fragen. Extreme Nationalisten geben Morde an kurdischen Aktivisten in Auftrag. Dass auch andere Länder mitspielen und ihre Interessen in der Türkei verfolgen, scheint da gar nicht so weit hergeholt.

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