Mittwoch, 23. April 2008

Ein Alltag

Wenn ich in der Früh auf den Balkon hinaustrete, steht der Mann, der in der Schneiderei gegenüber arbeitet, bald am Fenster und winkt mir zu. Es ist heiß in dem Raum, in dem ein Dutzend Männer an irgendwelchen Maschinen steht. Mein Fensterbekannter trägt daher leider nur ein Unterhemd über der Hose. Letztens hat er mir über die Straße eine Tasche angeboten. Zum Kauf? Als Geschenk? Keine Ahnung.

Mein geliebter türk kahvesi kostet manchmal mehr als das ganze Frühstück davor. Im übrigen lässt es sich in Istanbul sehr billig essen, wenn jemandem ein Imbissstand a la Würstelbude genügt. Dafür kostet der Eintritt in eine Disco das Zehnfache einer solchen Mahlzeit.

In einem Innenhof hat ein Buchhaendler alte Taschenbücher auf einem Gestell vor seinem Laden drapiert. Eine Katze hat sich einen besonders sonnigen Stapel ausgesucht. Sie hat sich zusammengerollt und schlaeft auf den Büchern.

Mit meiner chinesischen Kurskollegin gehe ich auf einen Kaffee. Sie trinkt Cola, ich trinke Bier. Wir unterhalten uns auf Türkisch, und da unser Wortschatz sehr eingeschränkt ist, sprechen wir über das, was wir in einfache Worte fassen können: über Männer. Da habe es schon ein paar gegeben, sagt G. Und, ja, es gebe durchaus hübsche Türken in Istanbul. Aber jetzt schaue sie nur einen an. G. ist erst seit wenigen Monaten verheiratet. Ihr Mann ist Ujgure und nach Istanbul wegen seiner Weiterbildung gekommen. Sie hat ihn beim Arzt kennengelernt: Er war der Arzt.

Soviel verstehe ich schon: „Ist sie allein gekommen?“ fragt ein Kellner den anderen im Restaurant. Ich will einfach nur in Ruhe zu Abend essen. Doch die Menschen sind meist zu freundlich, um das zu erlauben. Daher erkläre ich, woher ich komme und was ich hier mache. Und schon bietet sich der nächste Kellner an, mir Nachhilfeunterricht zu geben. In Türkisch.

Die Möwen, die in der Nacht über Istanbul fliegen, strahlen. Sie sind von den Lichtern der Stadt beleuchtet.

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