Sonntag, 6. April 2008

Nicht kommunizieren geht nicht

Diese Stadt ist nicht zu fassen. Istanbul, der Kosmos mit seinen 15, vielleicht auch 20 Millionen Einwohnern, mit seinen osmanischen Legenden, seinen Verfallserscheinungen und dem gierigen Wachstum, den Klischees rund um den Orientexpress und die Hippies, die in den 60er-Jahren hier auf ihrem Weg nach Indien Halt machten. Im Grunde ist es aber auch eine Ansammlung vieler Städtchen und vieler kleiner Geschichten. Und gäbe es eine Steigerungsform von unmöglich, wäre es in Istanbul unmöglicher nicht zu kommunizieren als in vielen anderen Städten.
Wie in einem Dorf, wo sich ebenfalls viel Leben auf der Straße abspielt, ist es in den einzelnen Vierteln so gut wie ausgeschlossen, keinem Freund, Cousin oder Kollegen zu begegnen. Die Zeitungslektüre vor dem Teehaus wird für eine Plauderei unterbrochen, der Gehilfe wird ums Eck zum Zigarettenholen geschickt.
Die Anonymität der Großstadt ist in den gläsernen Geschäftsvierteln zu finden, aber auch dort kann es vorkommen, dass durch die Straßen eilende Geschäftsleute stehen bleiben, weil sie einen Bekannten getroffen haben. Ein „Merhaba“, ein Hallo und kurzes Händeschütteln reicht da nicht, ein paar Sätze muss man schon wechseln.
Im Stadtteil Sultanahmet – das viele Reisende nicht einmal verlassen, weil dort Sehenswürdigkeiten wie die Hagia Sophia oder der Große Bazar sind – gibt es vor den Lokalen eigene Kommunikationsbeauftragte. Sie sollen Touristen dazu bringen, in das Restaurant reinzukommen. Sie müssen mit allen Mitteln die potenziellen Kunden in ein Gespräch verwickeln – und sei es, indem sie eine Schwester erfinden, die (welch Zufall!) den gleichen Namen trägt wie die Vorbeigehende.
Die Familie kommt auch beim Handeln oft ins Spiel. Im Geschäft zeigt sich der Verkäufer unglücklich, dass seine Kinder verarmen, wenn er mit dem Preis so weit runtergeht. Im Hotel gibt es einen Preisnachlass, „den nicht einmal mein Vater bekommt, wenn er mich besucht“, sagt der Rezeptionist. Das Feilschen, das Übertreiben und Überreden, das Verdienen wollen: Wo viele Menschen hinkommen, gehört es dazu.

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