Mittwoch, 23. April 2008

Musik, Melancholie und die Folgen

Bei der Musik gibt es gar keine andere Möglichkeit: Du musst dich verlieben. Selbstverständlich unglücklich – und jeden zweiten Tag in jemand anderen (nur jeden zweiten? fragt H. am Telefon). Denn die Auswahl ist groß. Die erste Leidenschaft in Istanbul war Powertürk selbst. Das könnte ich mir schon zum Frühstück reinziehen. Der Musikkanal ist voll der wehmütigen Weisen, die meist von Liebe handeln, die alles mögliche ist: Berge versetzend, Meere überwindend, den Schlaf raubend, heftig, stark, ewig – aber meist nicht erfüllt und manchmal nicht einmal erwidert. Zum Pulsadern aufschneiden, wie es ein spanischer Kurzzeit-Bekannter formulierte. Er konnte den türkischen Pop nicht ausstehen. Ich aber kann dem durchaus etwas abgewinnen. Da gibt es zum Beispiel ein Musikvideo von Tarkan, in Schwarz-Weiß gehalten, wo der Mann im halb aufgeknöpften Hemd im Regen steht. Der rinnt ihm wasserfallartig über den Kopf, die ausgebreiteten Arme, über die Brust. Dann steht er hinter einem verregneten Fenster und singt schmachtend. Ich bin nicht sicher, an wen sich das Video tatsächlich richtet, wahrscheinlich sollen aber Frauen angesprochen werden. Wie auch immer, die Melancholie hängt in der Luft. Doch anders als jene von Orhan Pamuk beschriebene, die vom Wehmut über den Verlust eines strahlenden Reiches geprägte, ist diese Melancholie von Sexuellem durchtränkt. Die Männer schauen dir tief in die Augen, flöten dir blumige Texte ins Ohr. Haben sie die aus den Musikvideos gelernt oder den türkischen Schnulzenfilmen der 70er-Jahre? Die Frauen sehen umwerfend aus, mit ihren schwarzen Haaren, dunklen Augen und ihrem selbstbewussten Auftreten. Die Männer begrüßen einander mit Küssen, die Frauen fallen einander in die Arme, alle werfen sich Kosenamen wie – frei übersetzt – „mein Lebenshauch“ oder „mein Herz“ zu. In Beyoglu sind die in der Nacht Herumziehenden zu einem wesentlichen Teil jung, hübsch und vergnügungssüchtig. Mithineingezogen zu werden ist nicht schwierig. Ich kann quasi gar nichts dafür...

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