Freitag, 11. April 2008

Zimmer mit Ausblick

Der Ausblick hat mich blind für alles andere gemacht. Von dem winzigen Balkon aus ist halb Istanbul zu sehen, fast bis zum Bosporus. Das Häusermeer ist auf der einen Seite, auf der anderen schaue ich vom fünften Stock in die engen Gassen von Beyoglu hinunter. Ich sehe die gelben Taxis, die sich in der Nacht mitten auf der Straße zu einer Schlange auffädeln; die kleinen Geschäfte, die Getränke und Zigaretten, Reinigungsmittel oder noch warmes Weißbrot verkaufen; die Straßenhändler, die ihre Handkarren schieben; die Lokale vor denen niedrige Tischchen stehen und die Menschen, die untertags vorbeieilen und am Abend herumschlendern. Auch das Zimmer ist nett mit seiner Dachschräge und in warme Farben getaucht. Und es ist sauber. Nach all den Absteigen, die ich gesehen habe und die schon für zehn Euro die Nacht zu haben sind, stört es mich kaum, dass die Duschkabinentür mir vielleicht bald entgegenfliegt oder der Vorhang etwas zerrissen ist. Das mit dem Schlafen habe ich mir sowieso schon abgeschminkt, vom Zimmer neben der Baustelle bin ich halt mitten ins Weggeh-Viertel gezogen. Immerhin wird das Gehupe um vier in der Nacht etwas weniger; bleiben dann drei, vier Stunden, bevor es wieder voll losgeht.
Allerdings habe ich schon drei Mitbewohner getötet: zwei Ameisen und eine Schabe. Dass es eine Schabe war, nehme ich zumindest an. Diese Frage diskutierte ich in der Nacht mit dem Patron des Hotels, der mit einer Wow-Blondine auf einen Whiskey vorbeigekommen ist. Selbstverständlich sprachen wir türkisch. Zuerst erklärte ich ihm in fluent turkish, dass im Zimmer „Leben“ ist. Dann erinnerte ich mich an das Vokabel für „Tiergarten“. „Hayat“ und „Hayvanat“ liegen ja wirklich nahe zusammen. Danach bückte ich mich und zeigte mit den Fingern auf dem Boden Schritte an. Schließlich zeichnete ich das Tier in meinem Lehrbuch auf. Die Begleiterin des Patrons hat viel schneller begriffen als er. Am Ende klärten wir noch ab, welche Farbe das Insekt hatte: braun, nicht schwarz. Danach waren wir alle sehr zufrieden, dass wir uns so gut verstanden haben und rauchten eine letzte Zigarette. Das muss doch reichen.

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